Es ist nämlich so ähnlich, wie wenn da ein Haus steht:
und diesem Haus steht eine Türe offen.
Ungefähr 35 Jahre lang steht sie offen, diese Türe, und keiner kommt herein.
Dann beginnt sich diese Türe zu schließen, zuerst ganz langsam und dann immer schneller.
Und GERADE noch, als diese Türe schon fast ganz zu ist, nur noch ein klitzekleiner Spalt offen ist, schlüpft noch schnell ein kleiner Zwack herein. Und dieser Zwack ist jetzt in diesem Haus.
Und wenn man - so wie ich - nicht mehr die Jüngste ist, dann kann man getrost von einem Wunder sprechen.
:-) :-) :-)
Lucretia - 10. Nov, 16:09
Ich soll aus einem Flugzeug springen, das über einer geschlossenen Nebeldecke fliegt.
Ich kann nicht einmal erahnen, was sich unter dem Nebel befindet, ich habe keine Vorstellung davon, wo ich landen werde.
Werde ich das überhaupt überleben? Und gibt es denn keine Alternative, muss ich wirklich springen?
Aber ja, ich muss springen, das ist klar. Es gibt kein Zurück.
Leider weiß ich nicht, ob in sich in meinem Rucksack auch wirklich ein Fallschirm befindet und - falls ja - dieser auch funktioniert.
Andererseits denke ich mir, dass es verrückt wäre, in dieser Situation keine Angst zu haben.
Lucretia - 26. Okt, 12:23
Ich liebe es, wenn ich am Sonntag - so wie in diesem Augenblick - durchs geöffnete Fenster die Blasmusik vom Kirchplatz her spielen höre.
Ich liebe es, wenn ich mir ein Kleid überwerfe und schon fertig angezogen bin.
Ich liebe dieses typische Sommergeräusch der lärmenden Grillen im Gras.
Ich liebe es, draussen sitzen zu können.
Ich liebe es, meine Haare nicht mit dem Föhn trocknen zu müssen.
Ich liebe es, das Fenster die ganze Zeit über einfach offen zu haben.
Ich liebe es, mich zum Schlafen hinzulegen und die Frösche draussen quaken zu hören.
Ich liebe es, wenn zwar die Sonnwende leider schon da ist, aber trotzdem der Sommer mit seinen ganzen Verlockungen erst beginnt.
Ich liebe diese weissen Nächte,
ich liebe diese Zeit.
Lucretia - 22. Jun, 13:04
MIr tut es leid für die Leichen, die ich hinterlassen habe.
Für die zertrümmerten Herzen.
Und die vielen Tränen, die ich verursacht habe.
Für die Menschen, die sich auf mich verlassen haben
und die ich warten ließ.
Für alle, die mit mir Hoffnungen verknüpft haben, die ich enttäuscht habe
Für alle, denen ich wehgetan habe, sei es jetzt aus Gedankenlosigkeit oder weil ich mich für einen anderen Weg entschieden habe.
Ich weiss nicht wirklich, wieviel Leid und Trauer ich schon verursacht habe, es tut mir leid, dass dem überhaupt so ist.
Und ich habe immer wieder mit meiner eigenen tiefen Traurigkeit zu kämpfen. Ich weiss nur nicht, bei wem ich mich entschuldigen kann, um sie endlich loslassen zu können.
Lucretia - 31. Mai, 18:21
Und heute waren wir endlich wieder einmal unterwegs, mein Pferd und ich.
Frisch nachgezogene Bremsen nach der Winterpause.
Der erste Zitronenfalter dieser Saison.
Prangendes Himmelblau über blauem Wasser.
Johlende Kinder und herumtobende Hunde.
Das erste Mal im Gastgarten sitzen.
Der Duft nach Gegrilltem in der Luft.
Ein sonnengeküsstes Gesicht beim Heimkommen.
Ein Sonntag wie im Bilderbuch.
Lucretia - 30. Mär, 22:25
Im Facebook schaut mein Profil für den Durchschnitts-Besucher sicherlich beeindruckend aus:
groß prangt ein tolles S/W-Foto - eine Nahaufnahme, die bei einem Konzert entstanden ist - über meinem Profil.
Ich stelle eine Sängerin dar, die musikalisch ziemlich aktiv ist, es gibt viele tolle Konzertfotos und immer wieder Aktivitäten, die natürlich allesamt irgendwie mit Musik zu tun haben. Eine Musikerin, die mit hunderten Musikern und "Fans" "befreundet" ist. Dort komme ich rüber wie eine Profi-Sängerin, denke ich.
Und obwohl keine einzige Unwahrheit in meinem FB-Profil versteckt ist, glaube ich an manchen Tagen selbst nicht, wer ich dort bin.
Tatsache ist, dass ich eine sehr ambitionierte Hobbysängerin bin, die das Singen liebt. Und die sicher nicht die Souveränität und Professionalität gepachtet hat, die sie in ihrem Profil zu zeigen scheint.
*
Als bekennende Exhibitionistin schreibe ich auch hier meistens nicht offline, nur die Qualitäten sind klarerweise komplett verschieden.
Facebook vs. hier:
dort bin ich
- strahlend und professionell. Manchmal ironisch.
Leicht verdaulich und immer gut drauf.
hier bin ich
- oft negativ, zweifelnd, unsicher. Raunzend.
Manchmal kritisch, oft erschöpft. Oft ohne Ironie.
dort
- gibt es viele Leute, die mich zumindest flüchtig kennen bzw. mich bei meinen Konzerten kennenlernen können. Dazu diverse Mitmusiker und einige wenige echte Freunde.
hier
- weiss - bis auf wenigste Ausnahmen - niemand, wer ich bin.
(Zwei Personen kennen allerdings beide Profile. Soweit ich mir dessen bewusst bin.)
dort
- bekomme ich relativ viel Resonanz auf meine Postings.
hier
- liest vielleicht hie und da jemand mit, eher selten.
dort
- überlege ich normalerweise sehr genau, was ich poste und was nicht.
hier
- schreib ich zwar auch immer wieder off-line, aber weil mich eh kaum wer kennt, ist es mir auch nicht derart wichtig, gut an zu kommen...
*
Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen!
Und Selbst-Marketing ist auch wirklich wichtig.
Aber auch echt anstrengend - zumindest für mich.
Umso wichtiger, mich öfter an Plätze zurück zu ziehen, an denen ich das alles nicht brauch.
Lucretia - 17. Mär, 10:18
Das Facebook, nämlich.
Lange hab ich mich "geweigert", skeptisch bin ich heinein gegangen.
Eigentlich wegen der Musik, ich wollt dort die Werbetrommel für meine Band rühren und selbst einfach präsent sein. Nach dem Motto "Seht her, es gibt mich, ich bin Sängerin."
Selbst poste ich gar nicht so viel, aber inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht ein- bis mehrmals eingeloggt bin und schaue, was denn alles so bei wem los ist. Dazu manchmal ein Hakerl hier und immer wieder ein Kommentar dort.
Allerdings bekommt dieses Mitlesen einen immer deutlicher werdenden Beigeschmack, nämlich einen unangenehmen.
Irgendwie scheine ich immer mehr unter Druck zu geraten, den Druck, mich immer besser positionieren zu müssen. Damit auch ich "dabei" bin, bei den ganzen extrem aktiven, erfolgreichen, beliebten, gut vernetzten und ständig auftretenden Musikern da draussen, deren Leben offenbar ein einziges Konzert ist und denen alles zufliegt.
Natürlich weiss ich, dass das in Wirklichkeit nur manchmal so ist. Aber trotzdem nagt es immer wieder an mir, vor allem, wenn ich garade nicht so glänzen kann...
...nein, es IST nicht gesund, nicht für mich.
Und trotzdem... bald gibt es wieder ein Konzert, das ich übers Facebook angekündigt habe. Viele der Zuhörer kommen wegen dieser Ankkündigungen.
Und in der Musikszene bin ich besser vernetzt, es wissen schon einige, dass es mich gibt, wovon ich auch schon profitiert habe ... lauter Gründe, warum ich mein Konto nicht einfach wieder lösche.
Aber wenn ich die Zeit, die ich im FB bin, lieber mit Üben oder Songschreiben verbringen würde, würde ich wahrscheinlich auf einem besseren und direkteren Weg zu meiner Musik und zu mir als Sängerin sein.
Wenn etwas mir einfach nicht gut tut und ich es trotzdem nicht ganz lassen kann, dann klingt das eigentlich schon beinahe wie eine Sucht.
Es ist an der Zeit, den Überlegungen Taten folgen zu lassen
Lucretia - 17. Mär, 09:48
Unlängst las ich im Blog einer Freundin, dass sie "ihre MItte gefunden" hätte. Ich kenne sie und ich glaube ihr das sofort.
Gemeint ist damit: mit dem Leben und sich selbst so insgesamt einverstanden zu sein, auch wenn nicht immer alles rund läuft.
Aber mir (die leider immer wieder dazu neigt, sich mit anderen zu vergleichen und das auch zu bewerten - schrecklich ist das, aber bisher konnte ich es noch nicht ganz ablegen) ist dann natürlich sofort aufgefallen, dass ich nur manchmal in meiner Mitte bin.
Aber nach den schweren Jahren zuletzt ist sie zumindest wieder hie und da aufgetaucht, meine geliebte Mitte, und bleibt je nach psychischer Großwetterlage manchmal nur ganz kurz und manchmal schon auch ein bischen länger.
Das Gute aber ist, dass ich WEISS, dass die Zeiten, in denen ich mit mir und meinem Leben zufriedener bin, auch wieder kommen werden.
Und ich freue mich darauf.
Lucretia - 15. Mär, 13:36
Ich sitze am Schreibtisch, wieder einmal.
Wo anders hin, ausser auf die Couch oder wieder ins Bett, kann ich derzeit nicht gehen, weil ich krank bin. Zum Glück nicht heftig, aber hartnäckig.
Und während ich da sitze, bemerke ich, dass ich die Augen zusammen kneifen muss, weil etwas anfängt mich zu blenden. Die Sonne streckt ihre Strahlen aus, über den Schreibtisch, auf meine Brust - und wärmt dort. Und wie.
Aaaaaah, ist das schön!
Lucretia - 12. Mär, 12:26
*
Lucretia - 28. Jan, 23:43
Heute, beim vormittäglichen Erledigen dieverser Einkäufe, komm ich in meinem Grätzl an einem Platz vorbei. Auf diesem Platz steht eine Kirche und davor befindet sich eine Sammelstelle für Christbäume. Es liegen recht viele dort, offenbar haben diese Woche viele Ihre Bäume entschmückt.
Der Himmel blaut, die Vögel jubilieren - und 3 Meter weiter drüben steht ein Busch - und er IST geschmückt. Prächtigst ist er, in voller Frühlingsblüte.
Jänner halt.
Von meiner Seite aus müsste es wirklich nicht mehr kalt werden.
Lucretia - 11. Jan, 13:23
Aufwachen im Morgengrauen.
Wie zugedeckt liegt das Tal unter mir im Nebel.
Die Luft ist windstill und ganz klar, ich fühle mich wie in Unschuld gehüllt.
Der Himmel verfärbt sich graugrün und kleine Wolkenfetzen leuchten orange.
Wenn ich atme, sehe ich die kondensierte Luft vor meinem Mund.
Aus der Ferne der Ruf eines Greifvogels.
Eine Herde Hochlandrinder mit zwei Kälbern grast friedlich vor dem Haus.
Eines davon ist noch so klein, dass es beinahe wie ein Stofftier wirkt.
Der Hahn ist noch zu verschlafen, um richtig zu krähen.
Als die Sonne aufgeht, sehe das Land in aller Pracht.
Dunst steigt aus der Wiese auf.
EIn Traktor startet an.
Ich fröstle und gehe leise ins Haus zurück.
Lucretia - 29. Sep, 20:05
Gut ist,
dass ich dort wohne, wo ich wohne, mit dieser Aussicht, mit diesem Licht. Mit diesem Mann und diesen Miezen.
Schade ist,
dass ich seit bald einem Jahr mit einer Schleimbeutel-Enztündung in meiner Hüfte herumtu. Seit bald einem Jahr kann ich nicht mehr laufen, schifahren oder inlineskaten. Sogar das Gehen schmerzt mich auf Dauer. Voll zach, das.
Gut ist,
dass ich Musik in meinem Leben habe, singen und Gitarre. Ich liebs!!! Und ich werde langsem immer besser und zum Glück auch mutiger.
Schade ist,
dass es in "meiner" Band Streit gab, zum allerersten Mal. Und obwohl es geklärt sein sollte, nagt es noch immer an mir.
Gut ist,
dass ich mich auf den Herbst freue, obwohl ich so am Sommer hänge.
Erschütternd ist,
dass diesen Sommer eine meiner engen Freunschaften sehr auf die Probe gestellt wird bzw. eventuell sogar endet.
Seltsam ist,
dass mich das irgendwie auch erleichtert.
Schade ist,
dass es in meiner Familie wieder einmal ans Eingemachte geht.
Gut ist,
dass ich mit dem Mann demnächst auf Urlaub auf die Alm fahre.
Schade ist,
dass ich seit Ewigkeiten keinen Urlaub mehr am Meer gemacht habe.
Gut ist,
dass ich ebenso gerne auf der Alm bin.
Mühsahm ist,
dass nach 3 Monaten auf eine Neubefundung warten, das Warten offenbar kein Ende hat und immer aufreibender wird.
Ärgerlich ist,
dass mir so oft der Fokus fehlt (im Job, in der Musik). Warum kann ich mich nicht entscheiden und in Einem saugut werden?
Gut ist,
dass ich die Möglichkeit habe zu tun, was ich liebe.
Schade ist,
dass ich so oft den Hintern nicht hoch krieg.
Gut ist,
dass ich die Wohnung heut schon geputzt habe. Ich hasse es, damit anzufangen. Aber irgenwas macht es mit meiner Seele.
*ein Stück in 4 Akten*
1. Akt - DIREKT DANACH
Euphorie, Schwebezustand.
Bin ausser mir und der Erde fern, weil ich mit den Sternen durchs All fliege. Viele liebe Menschen um mich herum, alle in guter Stimmung und ich mag irgendwie nicht landen.
2. Akt - EIN PAAR STUNDEN SPÄTER
Ich kann nicht schlafen, weil ich so aufgekratzt bin, so ähnlich wie damals als Kind vor Aufregung, weil morgen Weihnachten ist.
Aber für heute ist Weihnachten leider vorbei...
Und es war so schön, die Leute haben geklatscht und gejohlt und sind mitgegangen!! Hach, soooo schön und so toll!!
Und es WIRD werden.
Ich bin am Weg dazu, eine gute Sängerin zu sein.
Oder ich bins schon. Oder zumindest ein bisserl.
Ach, egal. Sooo schön wars!
Eigentlich will ich nicht schlafen, ich möchte singen...
Später dann endlich komaartiger Schlaf.
3. Akt - AM NÄCHSTEN TAG
Langsam komme ich wieder zu mir ... unglaublich, alles schon wieder vorbei.
Und ein Wahnsinn, wie die Zeit rast, gestern wars noch ein Monat bis dahin... ich wollt doch noch so viel üben.
Achja, das Konzert gestern...
komischen Nachgeschmack gibts eigentlich aber schon.
Hm. Irgendwie weiss ich doch, wie ich singe ...
Puh, wenn ich mir den Video-MItschnitt vom Handy anschau... oh Gott. Also gut ist meine Stimme echt nicht.
Ma, und dauernd diese Textpatzer.
Und muss ich echt so herumzappeln auf der Bühne...schaut schon irgenwie seltsam aus. Eine Biene auf Speed. Mit Doppelkinn. Super.
Also diese Selbstbesusstseins-Höhenflüge zwischendurch sind ja eh nett, aber komplett illusorisch. Was renn ich da nur nach. Und ins Facebook hat auch noch keiner reingerschrieben ... das ist der Beweis. Ich bin einfach nicht gut. Und ich kenn so viele Sängerinnen, die alle besser sind als ich ...
(usw. usf.)
4. AKT
Man sieht eine Frau, die sich geißelt, bis sie zusammenbricht.
*VORHANG*
Rückblick auf das Konzert, nüchtern betrachtet:
- ein riesen Spass!!!
- als Band warn wir gut zusammengstpielt, war sicher eines von unseren guten Konzerten
- im 2. Set war ich auch gut bei Stimme (war im 1. Set belegt)
- super Stimmung: die Leut' haben von Anfang an gscheit applautiert & gejohlt und sind dann immer mehr mitgegangen
- ich hab mich v.a. im zweiten Set richtig wohl gefühlt
- am selben Abend wurde ich von Musikern gefragt, ob wir nicht gemeinsam "was" (musikalisches) machen wollen
- am nächsten Tag hatte ich ein Mail von einer Konzertbesucherin, die ich NICHT kannte, betreffend eine Buchungs für ihre Veranstaltung
- rundherum insgesamt sehr gutes Feedback
Und hier die große Frage:
...und WARUM reicht mir das nicht?
Warum ist da immer ein so unglaubhlich tiefes / breites / mächtiges Gefühl, nicht gut genug zu sein, das so stark ist, dass es alles andere erstickt?
So, genug davon.
Ich geh jetzt eine heisse Schokolade trinken und meine Wunden lecken.
Und dann geh ich üben.
Lucretia - 18. Feb, 13:20
Als zehnjährige erkrankte meine Schulkollegin an Krebs.
Sie hatte einen schwarzen Fleck am Arm und es war unglaublich, dass es ausgerechnet sie traf, weil sie die Klügste und Bravste der Klasse war. Damals dachte ich, dass meine Mutter lieber sie als Kind hätte als mich, und beneidete sie.
Als wir vierzehn waren, verstarb das Mädchen.
Sie war meine Schulfreundin, sie war beliebt, die ganze kleine Stadt war betroffen. Jetzt ist sie im Himmel, sagte meine Mutter.
Als achzehnjährige hörte ich von einem Schüler aus unserer Stadt, der sich vor den Zug warf. Wir alle waren betroffen, wie kann ein so junger Mann sein Leben wegwerfen. Wie groß muss da die Verzweiflung sein. Da ich ihn selbst nicht kannte, wusste ich nicht, wie ich fühlen sollte und fühlte so, wie es die anderen erwarteten.
Mit siebenundzwanzig habe ich zum ersten Mal jemanden in den Tod begleitet. Sie war die Großmutter meines damaligen Freundes, eine Dame aus einer Welt vor unserer und sehr einsam.
Immer wieder habe ich sie nach der Arbeit besucht, bin an ihrem Bett gesessen und hab ihr Geschichten erzählt. Ihre Freude darüber hat ziemliche Löcher in meinem Herzen gefüllt.
Ihr Tod schien keinerlei Lücken hinterlassen zu haben, das hat mich damals mehr betroffen als ihr Tod selbst.
Als ich sechsundreissig war, erkrankte meine Mutter an Krebs.
Mit der Diagnose war auch noch eine ungefähre Restlebensdauer festgelegt. Wir hatten nicht das beste Verhältnis und ich war überascht davon, was diese Zeit des Abschiedes für mich alles bereit hielt. Wie wichtig das für mich war und wie sehr ich meine Mutter endlich besser sehen konnte. Und ein Stück auch mich selbst.
Als sie schliesslich ging, war ich sehr traurig, aber es war in Ordung. Ich war irgenwie auch versöhnt.
Vor dreieinhalb Jahren haben bestimmte Umstände dazu geführt, dass mein nicht geborenes Kind gestorben ist. Dieses Ereignis hat mich in Loch gestürzt, in ein bodenloses, unendliches Loch, das so einnehmend war, dass ich fast nicht weiterleben konnte.
Vielleicht habe ich seither gelernt, dass es alles geben kann - aus allen Gründen - auch das, was Du Dir jetzt gar nicht vorstellen kannst. Und an manchen Tagen halte ich genau diesen Gedanken kaum aus. Und ich lerne langsam, damit einfach weiterzuleben.
Vor drei Monaten ist mein Onkel gestorben.
Er war mir und unserer Familie sehr nahe. Er war der Bruder meines Vaters, war neunzig Jahre alt und es war mit seinem baldigen Tod zu rechnen. Als es dann soweit war, hat irgendwas ganz Altes in mir weh getan - wie auch die vielen verpassten Chancen und der spürbare Verlust des eigenen, schwindenden Lebens.
Seine Frau ist jetzt nach über 60 Ehejahren Witwe und glaubt nicht, dass er wirklich tot ist.
Und heute abend habe ich erfahren, dass mein Vater schon sehr hohe Tumorwerte aufweisst. Krebs hat er schon seit einiger Zeit, aber er möchte nicht, dass meine Geschwister und ich das wissen. Er lehnt - nach dem Marthyrium meiner Mutter - auch jede Behandlung ab.
In unserer Familie steht also ein weiterer Abschied bevor - und wir drüfen uns das nicht anmerken lassen. Keine Sorgen und Wünsche äussern. Keine Fragen stellen, weil mein Vater uns vor seinem Tod schützen möchte.
Mein Vater, der mir schifahren beigebracht hat.
Mein Vater, der einmal so die Tür zuschlug, dass die Wand meines Zimmers einen Riss im Putz bekam.
Mein Vater, der immer wollte, dass ich mich für Politik interessiere.
Mein Vater, der im Krieg Flüchtlinge versteckt hat.
Mein Vater, der immer ein schlechtes Gewissen seinem Bruder gegenüber hatte, weil dieser im Krieg eingezogen wurde.
Mein Vater, der sich nichts mehr wünscht, als dass meine Geschwister und ich nicht streiten.
Mein geliebter Vater.